Berufsunfähigkeitsversicherung – Definition der „bisherigen Lebensstellung“
Nachprüfungsverfahren in der Berufsunfähigkeitsversicherung – Definition der „bisherigen Lebensstellung“
Urteil des BGH vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15
Der Bundesgerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein Beruf, den der berufsunfähige Versicherungsnehmer nunmehr ausübt, der bisherigen Lebensstellung im Sinne der Versicherungsbedingungen entspricht. Das Landgericht Neubrandenburg, Urteil vom 02.10.2013 – 3 O 582/11 und das OLG Rostock, Urteil vom 17.08.2015 4 U 123/13 hatten die Klage der Versicherungsnehmerin auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen. Beide Gerichte waren der Auffassung, dass der durch die Klägerin ausgeübte Beruf "bisheriger Lebensstellung" entspräche und somit der Versicherer zu Recht die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung eingestellt habe.
Anerkennung der Leistungspflicht in der Berufsunfähigkeitsversicherung durch den Versicherer
Die Versicherte war als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst tätig und hatte pflegebedürftige Personen in der stationären und ambulanten Pflege betreut. Zuletzt in gesunden Tagen war sie regelmäßig 40 Stunden je Woche zu einem monatlichen Bruttolohn von ca. 1.360,00 € beschäftigt. Aufgrund mehrerer Bandscheibenvorfälle konnte sie dieser Tätigkeit nicht mehr nachgehen, der Versicherer hatte die Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung anerkannt. Zugrunde lagen dabei folgende auszugsweise zitierte Versicherungsbedingungen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, BB-BUZ.:
- § 1 Was ist versichert? - Wird die versicherte Person während der Risikodauer dieser Zusatzversicherung zu mindestens 50 % berufsunfähig, so erbringen wir für die Dauer der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zum Ablauf der vereinbarten Leistungsdauer folgende Versicherungsleistungen: …
- § 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen? - Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen außer Stande ist, ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. Wir verzichten jedoch auf die Verweisung auf eine andere Tätigkeit, wenn die versicherte Person keine solche ausübt. …
- § 6 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit? - Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit, ihren Grad bzw. den Umfang der Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen; dies gilt auch für zeitlich begrenzte Anerkenntnisse nach § 5. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 ausübt, wobei neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen sind. …
Einstellung der Leistung des Versicherers im Nachprüfungsverfahren
Während des Leistungsbezuges begann die Versicherte dann als Krankenschwester ohne körperliche Belastungen zu arbeiten, offenkundig ausschließlich im administrativen Bereich. Sie arbeitete nunmehr 30 Stunden je Woche bei einem Bruttolohn von 1.050,00 € monatlich. Der Berufsunfähigkeitsversicherer stellte daraufhin die Leistungen ein und war der Auffassung, dass mit dem nunmehr ausgeführten Beruf keine Leistungsansprüche mehr bestünden. Die Versicherte könne auf die nunmehr ausgeübte Tätigkeit verwiesen werden. Die Tätigkeit würde ihrer Lebensstellung vor der Berufsunfähigkeit entsprechen. Diese Leistungserstellung ließ sich die Versicherte nicht gefallen. Sie reichte Klage ein und war mit dieser Klage zunächst nicht erfolgreich.
Bisherige Lebensstellung – Was sagt der BGH dazu?
Im Urteil des BGH vom 07.12.2016 IV ZR 434/15 heißt es dazu:
„Eine Verweisung des Versicherten auf eine andere ausgeübte Tätigkeit kommt nach dem für den Versicherungsnehmer erkennbaren Sinnzusammenhang zwischen § 6 Abs. 1, 2 und § 2 BB-BUZ auch nach einem Leistungsanerkenntnis nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Z. 1 BB-BUZ der bisherigen Lebensstellung der versicherten Person entspricht. Diese wird vor allem durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung des Versicherten wird also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit – wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt (Rechtsprechungszitate)."
Begründung des BGH gegenüber dem OLG Rostock
Nach diesen Grundsätzen kritisiert der BGH die Entscheidung des OLG Rostock insbesondere im Hinblick darauf, dass das OLG die Auffassung vertrat, dass die Vergütung nicht spürbar unter das Niveau des bisher ausgeübten Berufs abgesunken sei. Vergleicht man die beiden Zahlen, so ist tatsächlich eine Einbuße beim Gehalt von fast 23 % vorhanden. Zwar sei der Ausgangspunkt des Berufungsgerichtes noch zulässig, dass sich angesichts der Bandbreite individueller Einkommen eine generelle Quote der Minderung nicht festlegen lasse. Es sei stets eine einzelfallbezogene Betrachtung unerlässlich und geboten. Nicht bedacht hatte nach Auffassung des BGH das OLG Rostock allerdings, dass sich prozentuale Einkommens- und Gehaltsminderungen je nach Höhe des bisherigen Verdienstes unterschiedlich belastend auswirken. Insbesondere ist vorliegend bei einem sehr niedrigen Bruttoeinkommen 23 % Gehaltseinbuße eine wesentlich stärkere Einschränkung als bei einem Einkommen im mittleren oder höheren Bereich. Eine klare Absage erteilte der BGH der Idee des Berufungsgerichtes, dass die Lebensstellung des Versicherten wegen eines nunmehr wesentlich höheren Freizeitanteiles und den Wegfall der Belastung der Nachtarbeit als gesichert angesehen wurde. Wörtlich heißt es:
„Eine solche Verrechnung von Freizeit und Arbeitserleichterungen mit der Einkommensdifferenz ist aber mit dem Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht vereinbar."
Ergebnis: Rückverweisung und neue Entscheidung durch das Berufungsgericht
Der BGH verweist die Entscheidung an das OLG Rostock zurück. Dieses solle, ohne Kompensation durch Freizeit und Wegfall besonderer Belastungen prüfen, ob die Einkommenseinbuße der Versicherten zumutbar sei. Dazu sollten die Parteien ergänzend Stellung nehmen.
Bei einen nunmehr seit 2011 andauernden Rechtsstreit, der der Versicherten zwischenzeitlich erhebliche Einschränkungen in der Lebensführung abverlangt, ist diese Zurückverweisung angesichts der sonstigen Entscheidungsgründe nicht ganz nachzuvollziehen. Es dürfte wohl einleuchten, dass eine Gehaltseinbuße von 23 % bei einem ohnehin schon sehr dürftigen Gehalt nicht der bisherigen Lebensstellung entspricht und diese nicht zu halten sein wird. Insoweit wäre es zu begrüßen gewesen, wenn der Bundesgerichtshof die Sache gleich im Sinne der Versicherungsnehmerin entschieden hätte.
Jörg Schulze-Bourcevet
Fachanwalt für Versicherungsrecht