Zulässigkeit der Erhebung von Gesundheitsdaten aus der Zeit vor Beginn des Versicherungsvertrages
Berufsunfähigkeitsversicherung – Erhebung von Gesundheitsdaten durch den Versicherer nach Entscheidung des Kammergerichtes Berlin auch für den Zeitraum vor Beginn des Versicherungsvertrages zulässig
Das Kammergericht Berlin hat zur Notwendigkeit der Erhebung von Gesundheitsdaten am 08.07.2014, Az. 6 U 134/13 durch den Versicherer ein äußerst praxisrelevantes Urteil gesprochen. Der Kläger des Verfahrens war Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er begehrte Leistungen vom Versicherer wegen behaupteter Berufsunfähigkeit aufgrund einer depressiven Erkrankung (Burnout-Syndrom). Der Versicherer wollte wie in diesen Fällen üblich eine umfassende Prüfung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers vornehmen. Der Erhebung von Gesundheitsdaten widersprach der Versicherungsnehmer jedoch, soweit das den Zeitraum vor dem Beginn des Versicherungsvertrages betraf. Hintergrund war, dass der Versicherungsvertrag zum Zeitpunkt der Anspruchstellung erst kurze Zeit lief. Der Versicherer vermutete, dass der Versicherungsnehmer bei den Antragsfragen zu seinem Gesundheitszustand unzutreffende Angaben gemacht hatte und schon vor Vertragsabschluss an der nunmehr zur Berufsunfähigkeit führenden Krankheit litt. Eine solche Prüfung wollte der Versicherungsnehmer unter Hinweis auf das Recht zur informationellen Selbstbestimmung nicht zulassen.
Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht gebietet Ausgleich zwischen den Rechten des Versicherers und des Versicherungsnehmers
Exkurs:
Dass die umfassende Ermächtigung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, Daten zu erheben, mit seinem Grundrechtsschutz kollidieren kann, hatte das Bundesverfassungsgericht genau zu diesem Problem bereits festgestellt (Bundesverfassungsgericht, 17.07.2013 - 1 BvR 3167/08). Der Versicherer muss nach dieser Entscheidung den Eintritt des Versicherungsfalls prüfen können, dabei jedoch andererseits die Übermittlung von persönlichen Daten auf das hierfür erforderliche Maß begrenzen. Wie diese Grenze auszufallen hat, hat uns das Bundesverfassungsgericht leider nicht verraten. Es hat den Instanzgerichten jedoch mit auf den Weg gegeben, dass die Auskunftsgegenstände vom Versicherer konkretisiert werden müssen.
Keine Fälligkeit der Leistung des Versicherers bei verweigerter Auskunft zu Gesundheitsfragen
Zurück zum Fall:
Das Landgericht Berlin hatte die Klage mangels Fälligkeit der Leistung des Versicherers als derzeit unbegründet abgewiesen. Gestützt wurde das auf den Wortlaut von § 14 Abs. 1 VVG sowie die inhaltsgleichen Versicherungsbedingungen. Danach sind Leistungen des Versicherers fällig mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherung notwendigen Erhebungen. Das Kammergericht folgte dem Landgericht und vertritt die Auffassung, dass der Versicherer wegen des Widerspruchs des Versicherungsnehmers gegen die beabsichtigte Erhebung von Gesundheitsdaten aus der Zeit vor Vertragsbeginn seine Leistungsprüfung nicht beenden kann. Da das allein Schuld des Versicherungsnehmers sei, habe er auch keinen Anspruch auf einen Vorschuss für die Leistung.
Ermittlungsinteresse des Versicherers im Spannungsfeld mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Versicherungsnehmers
Das Kammergericht Berlin sieht das Ermittlungsinteresse des Versicherers als gegeben an. Der Versicherer habe auch Anspruch darauf zu prüfen, ob die behauptete Berufsunfähigkeit möglicherweise bereits vor dem Vertragsabschluss bestand. Dann wäre der Versicherer leistungsfrei, da er zurücktreten oder den Vertrag mit dem Versicherungsnehmer wegen dessen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung anfechten könne. § 213 Abs. 1 VVG sowie die oben angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hindern nach Auffassung des Kammergerichtes Berlin den Versicherer nicht an der Anforderung der vorvertraglichen Daten.
§ 213 Abs. 1 VVG lautet: Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch den VR darf nur bei Ärzten, Krankenhäusern und sonstigen Krankenanstalten, Pflegeheimen und Pflegepersonen, anderen Personenversicherern und gesetzlichen Krankenkassen sowie Berufsgenossenschaften und Behörden erfolgen; sie ist nur zulässig, soweit die Kenntnis der Daten für die Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht erforderlich ist und die betroffene Person eine Einwilligung erteilt hat.
§ 213 VVG schützt das Persönlichkeitsrecht des Versicherungsnehmers, er hat die letztliche Entscheidungsbefugnis über seine Daten. Für den Leistungsfall sagt das nach Ansicht des Kammergerichtes allerdings noch gar nichts aus. Hier bedürfe es einer Abwägung. Für den konkreten Fall fällt das Ergebnis zuungunsten des Versicherungsnehmers aus. § 213 VVG stellt keinen Anspruch auf Versicherungsleistungen dar, wenn der Anspruchsteller sein Recht wahrnimmt, Daten geheim zu halten. Auch sei der Versicherer nicht darauf zu beschränken, die Gesundheitsdaten nur für den Vertragszeitraum zu erheben, wenn im Rahmen seiner Risikoprüfung bei Vertragsschluss möglicherweise unzutreffende Angaben durch den Versicherungsnehmer gemacht wurden.
Erhebung von Gesundheitsdaten nur bei konkretem Verdacht?
Im vorliegenden Fall war die zeitliche Nähe zwischen Vertragsschluss und Auftreten der behaupteten Berufsunfähigkeit durch Burnout auffällig. Der Vertrag lief gerade ein Jahr. Ob das Kammergericht die Berufung auch zurückgewiesen hätte, wenn ein langjähriger Zeitraum zwischen dem Versicherungsbeginn und der behaupteten Berufsunfähigkeit gelegen hätte, darf wohl ernsthaft bezweifelt werden. Der Versicherungsnehmer hat es in der Hand, die Zweifel des Versicherers zu zerstreuen und konkrete Gesundheitsfragen zu beantworten.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat das Kammergericht Berlin die Revision gegen die Entscheidung zugelassen. Revision ist eingelegt worden, das Aktenzeichen des Bundesgerichtshofes ist IV ZR 289/14. Insoweit bleibt es spannend, ob der BGH das Berufungsgericht in seiner Auslegung der Vorschrift des § 213 VVG und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestätigt.
Jörg Schulze-Bourcevet
Fachanwalt für Versicherungsrecht