Versicherer kann Krankentagegeld bei Absinken des durchschnittlichen Nettolohnes nicht kürzen
Aktuelle Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 23. Dezember 2014, 9a U 15/14
Das Oberlandesgericht Karlsruhe war wiederholt mit einem typischen Problem in der Krankentagegeldversicherung befasst. Der Versicherungsnehmer war selbstständiger Handwerker und der Krankentagegeldversicherer hatte das Krankentagegeld um 50 % herabgesetzt. Begründet wurde das damit, dass das Nettoeinkommen des Versicherungsnehmers entsprechend gesunken sei. Tatsächlich entsprach das Nettoeinkommen dem täglich neu durch den Krankenversicherer einseitig bemessenden Krankentagegeld. Der Versicherungsnehmer ließ sich die Kürzung nicht gefallen und zog vor Gericht. Die Feststellungsklage darauf, dass das Krankentagegeld wie bisher in der ursprünglichen Höhe zu bemessen sei, wurde vom Landgericht abgewiesen.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hingegen gab dem Versicherungsnehmer in vollem Umfang gerecht. Dabei wurde zunächst noch einmal die einheitliche Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte dargestellt, dass die erste und wesentliche Voraussetzung einer Anpassung der Höhe des Krankentagegeldes durch den Versicherer ist, dass beim Vertragsschluss über die Höhe des Krankentagegeldgeldes auch ein bestimmtes Nettoeinkommen für die Bemessung zu Grunde gelegt wurde. Daran mangelt es in der Praxis häufig. Insbesondere bei älteren Verträgen, die zum Teil vor vielen Jahrzehnten abgeschlossen wurden, ist zur Höhe des damaligen Einkommens überhaupt nichts ausgeführt. In solchen Fällen kann der Krankentagegeldversicherer nicht kürzen. Im Fall des OLG Karlsruhe war es allerdings so, dass der Versicherer nachweisen konnte, in welcher Höhe das Nettoeinkommen Grundlage der Krankentagegeldvereinbarung war.
Die Darlegungslast und die Beweislast für die Voraussetzungen der Anpassung des Krankentagegeldes gemäß § 4 Abs. 4 MB/KT trägt allein der Versicherer.
Der Versicherer hatte insoweit die Voraussetzungen nach den Versicherungsbedingungen dargelegt. Allerdings hielt das OLG Karlsruhe die Kürzung trotzdem für unwirksam. Das Oberlandesgericht begründete das damit, dass die Regelungen des § 4 Abs. 4 MB/KT i. V. m. § 2 Abs. 2 MB/KT den Versicherungsnehmer unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB benachteiligen. Dem Versicherer werde unzulässig erlaubt, seine Leistung einseitig für die Zukunft herabzusetzen und zwar auch für den Fall, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten sei. Dadurch würden insbesondere Selbstständige benachteiligt, da dort Einkommensschwankungen üblich seien. Das Krankentagegeld könnte sogar auf Null herabsinken, wenn das Einkommen wegen der Arbeitsunfähigkeit ebenfalls auf Null herabsinkt.
Die Vorschriften zur Herabsetzung des Krankentagegeldes in den Versicherungsbedingungen halten einer AGB-Kontrolle nicht stand.
Darüber hinaus war das Oberlandesgericht Karlsruhe der Auffassung, dass die Regelungen zur Herabsetzung des Krankentagegeldes gegen das Transparenzgebot verstießen. Die Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen lasse nicht erkennen, welche wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen auf den Versicherungsnehmer zukommen könnten. Der Versicherungsnehmer könne weder die zukünftige Entwicklung seines Versicherungsschutzes überblicken noch sei die Berechnung der Absenkung deutlich. Auch sei nach Auffassung des OLG Karlsruhe unklar, welcher Stichtag für die Berechnung des Nettoeinkommens aus dem Durchschnittseinkommen der letzten 12 Monate denn maßgeblich sein soll. In Betracht kämen hier der Versicherungsantrag, Stellung des Leistungsantrags und der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Diese Kritik stimmt mit der Kritik des OLG Hamm überein.
Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des OLG Karlsruhe vor dem Bundesgerichtshof Bestand hat. Die Revision ist anhängig beim BGH zum Geschäftszeichen IV ZR 44/15. Es ist nur jedem Versicherungsnehmer zu raten, eine Kürzung des Krankentagegeldes nicht einfach hinzunehmen. Gerade bei Selbstständigen kann die Krankheit unter Umständen zur Existenzgefährdung führen. Gestützt auf vorstehende Entscheidung wäre eine Kürzung generell nicht möglich. Es gibt jedoch auch ohne die Argumente und Begründung des OLG Karlsruhe eine Reihe von Möglichkeiten, gegen die Kürzung der Leistungen des Krankentagegeldes vorzugehen.
Jörg Schulze-Bourcevet
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Schlagwörter:
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