Verkehrssicherungspflicht und elterliche Aufsicht bei Kindergeburtstag
Oft kommt es im Alltag zu Überschneidungen der Verkehrssicherungspflicht von Grundstückseigentümern und der Aufsichtspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern. Dann stellt man sich die Frage, ob beide Pflichten verletzt wurden und wenn ja, ob eine Pflicht vorrangig behandelt wird. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn das Minderjährige Kind auf der Baustelle des Nachbargrundstückes auf ein nicht gesichertes Gerüst klettert.
Die Frage des Vorrangs hatte nunmehr das OLG Brandenburg in zweiter Instanz zu entscheiden.
OLG Brandenburg, Urteil vom 19.02.2020 – 7 U 138/18
Ertrinkungsunfall bei Kindergeburtstag
Der verkehrssicherungspflichtige Beklagte – hier der Grundstückseigentümer – richtete auf seinem Grundstück einen Kindergeburtstag aus. Der zum Zeitpunkt des Unfalls 2 ½-jährige Kläger lief auf dem vorderen und gut einsehbaren Teil des Grundstückes umher. Auf dem hinteren Teil des Grundstückes befand sich zum Unfallzeitpunkt ein in den Boden eingelassener Swimmingpool, der ursprünglich mit einem Zaun einschließlich eines verschließbaren Tores und Heckenbepflanzung abgesichert und umgrenzt war.
Vor dem Geburtstag wurden Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beklagten begonnen, die zum Zeitpunkt des Geburtstages andauerten. Der Grundstückseigentümer hatte in die Umgrenzung zwei Lücken eingelassen, die unmittelbar vor dem Geburtstag durch ihn mittels einer Schubkarre und muschelförmigen Sandkastenteilen versperrt wurden. Den zur Geburtstagsfeier eintreffenden Gästen ist mitgeteilt worden, dass die Eltern wegen des Swimmingpools auf ihre Kinder achten und diese beaufsichtigen sollen.
Der Kläger spielte unter Beaufsichtigung der Eltern im Sandkasten. Nachdem der Vater des minderjährigen Klägers diesen nicht aufzufinden vermochte und auch die übrigen Gäste den Kläger nicht entdecken konnten, zog einer der Gäste die auf dem Pool liegende unbefestigte Plane beiseite und der Kläger wurde auf dem Grund des Pools reglos aufgefunden.
Im Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin und späteren Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Brandenburg machte der schwerstgeschädigte Kläger Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gegen den Beklagten bzw. die dahinterstehende Haftpflichtversicherung geltend.
Urteil OLG Brandenburg
Das Landgericht Neuruppin wies diese Ansprüche ab. Die vor dem Oberlandesgericht Brandenburg eingelegte Berufung blieb ebenfalls erfolglos.
Die Richter stellten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht fest, sondern verwiesen auf die vorrangige elterliche Aufsichtspflicht auf Seiten des Klägers. Die Berufung wurde abgewiesen.
Grundsätze Verkehrssicherungspflicht
Die bisher von zahlreichen Gerichten und dem Bundesgerichtshof, als oberstes deutsches Zivilgericht, verfolgte Ansicht entwickelt sich immer weiter: Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss alle notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung Dritter zu verhindern. Auf welche wirksame Art und Weise darf hierbei der Verkehrssicherungspflichtige selbst entscheiden.
Bei einer Unterlassung dieser Absicherung von Gefahrenquellen wird der Dritte in seinen Rechten und Rechtsgütern aus § 823 BGB verletzt. Darunter zählen neben Eigentum auch das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Der Geschädigte hat danach eine Schadensersatzanspruch gegenüber dem Verkehrssicherungspflichtigen.
Vorhersehbarkeit von Gefahren
Die Grenzen finden sich wie immer im praktischen Leben: Nicht jede Gefahr ist vorhersehbar und kann abgesichert sein. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Daher findet die Verkehrssicherungspflicht auch ihre Schranken – wie eben u.a. in der Aufsichtspflicht Dritter. Die Rechtsprechung, also die Gerichte, sind hierbei der Ansicht, dass es ausreicht, die Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf. Wie genau dieser Mensch nun ermittelt wird, verschweigt uns die Rechtsprechung allerdings und daher werden allgemeine Maßstäbe in Ansatz gebracht und es wird – wie für die Rechtsprechung üblich – am Einzelfall entschieden.
Konkreter Fall - Sicherung Swimmingpool
Für Kleinkinder stellt aber ein Swimmingpool – ähnlich einem Gartenteich – immer eine erhebliche Gefahrenquelle dar. Zum Unfallzeitpunkt war der Swimmingpool laut Gericht für ein Kind nicht frei zugänglich, da die zwei in der Umzäunung vorhandene Lücken mit Schubkarre und Sandkastenteilen verstellt wurden. Diese Hindernisse seien für Kleinkinder im Alter des Klägers nach Auffassung des Gerichts unüberwindbar.
Dass es sich dabei lediglich um provisorische Hindernisse handelt, hielten die Richter nicht für bedeutsam. Sie waren der Ansicht, dass der Beklagte damit seiner Verkehrssicherungspflicht Genüge getan hat. Dadurch war aber kein lückenloser Zugang verhindert. Vor allem Kleinkinder können durch ihre Größe und Wendigkeit einfach herum gehen. Die gestellten Hindernisse halten vielleicht kurz auf, verhindern aber nicht ein Durchkommen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Die Richter meinten, dass man die Aufsichtspflicht der Eltern auch mit berücksichtigen muss. Die Eltern eines minderjährigen Kindes müssen ihrer Aufsichtspflicht immer und überall nachkommen, auch auf den Grundstücken anderer Personen. Das ist zwar nicht falsch, jedoch sollte gerade auf einem Kindergeburtstag das Kind unbedarft mit anderen Kinder spielen dürfen. Die Eltern des Klägers konnten darauf vertrauen, dass der Gastgeber und Veranstalter eines Kindergeburtstages alle Maßnahmen trifft, um ein Grundstück für Kinder verkehrssicher zu machen. Schließlich geht niemand auf einen Geburtstag in dem Bewusstsein, es würde nicht ausreichend für die Sicherheit gesorgt.
Aufsichtspflicht hat Vorrang vor der Verkehrssicherungspflicht
Das Gericht sah das jedoch anders. Es sah die Sicherungsmaßnahmen als ausreichend an, die Aufsichtspflicht der Eltern sei vorrangig. Im Alter von zwei Jahren und sechs Monaten bedürfe der Kläger einer lückenlosen Beaufsichtigung. Das Gericht hat hier das letzte Wort.
Die Richter urteilten, dass der Grundstückseigentümer davon ausgehen durfte, dass die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nachkommen werden. Damit darf er die Gefahrenquelle als ausreichend gesichert ansehen. Auch der kindgemäße Erkundungsdrang steht argumentativ zurück. Eine Begründung bleibt uns das Gericht jedoch schuldig. Das Gericht sah den Beklagten nicht zu weiteren Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet.
Im Gegenteil: Es ist weiterhin der Ansicht, dass jedermann wisse, dass Kleinkinder einer ständigen Aufsicht bedürfen, die Aufsichtspflicht sei vorrangig. Daher durfte der Beklagte sich auf die Eltern des Klägers und die Einhaltung ihrer Pflichten verlassen; die Richter sehen allein die Eltern in der Pflicht.
Warum das Gericht der Ansicht war, dass die unbefestigte Plane auf dem Pool nichts am Urteil ändere, wird ebenfalls nicht begründet. Der Beklagte konnte darauf vertrauen, dass der Kläger unter Aufsicht der Eltern nicht in den Poolbereich gelangt. Nur, weil die Eltern aufpassen sollten, muss nicht das Grundstück weniger gesichert werden. Auch, dass mit den Sandkastenteilen und der Schubkarre Hindernisse geschaffen wurden, dürfte für einen grundlegenden Schutz nicht ausreichend sein. Es liegt nicht fern jeglicher Vorstellung, bei einem Pool die Plane ordentlich am Rand zu befestigen, das zeigt bereits der Umstand, dass mobile Pools auch immer mit Plane verkauft werden. Entweder, eine Plane fehlt ganz, oder sie ist komplett befestigt. Gerade Kleinkinder sehen in einer glatt aufliegenden Plane keine Gefahr.
Keine klaren gesetzlichen Vorgaben für private Pool-Besitzer
Neben der rechtlichen Relevanz zeigt die Entscheidung wieder deutlich, welche tödlichen Gefahren Pools und Gartenteiche vor allem für kleine Kinder darstellen. Gefahren, die viele Grundstückseigentümer leider nicht erkennen und keine ausreichenden Sicherungsmaßnahmen treffen. Im privaten Bereich fehlen dazu auch eindeutige Regeln und Sicherheitsvorschriften für Pools und Teiche. Für betroffene Kinder und deren Eltern ist jeder Unfall häufig mit schweren Folgen verbunden.
Das Urteil des Oberlandesgerichtes Brandenburg ist im Volltext abrufbar. hier
Schulze-Bourcevet
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